Sonntag, 11. Juli 2010

Das gute Leben (Chilcapamba)

Da stand ich also, auf einem Erbsen-Feld, mit Spitzhacke in der Hand und Schweiss in den Augen. Ueber mir knallte berstend die Aequator-Sonne und ploetzlich waren sie da, die Gedanken. Was macht das Wissen um Atom-Orbitale, Quanten-Objekte und Supernova-Schockwellen eigentlich wertvoller als das Wissen um den Geruch von frischen Zitrus-Blueten, den Klang von froehlichem Kinderlachen oder das Gefuehl von frisch aufgewuehlter, klebriger Erde in den Haenden?

Dort auf dem Feld im 500-Seelen-Doerfchen Chilcapamba, am Hang des Vulkans Cotocachi auf knapp 3000 m Hoehe, habe ich dann entschlossen, mir die Welt ein bisschen genauer anzuschauen, als das in den vergangenen Jahren der puren Vergeistigung der Fall war. Es scheint mir als koenne kein Ort geeigneter dafuer sein, den Kontakt zur sinnlichen Seite des Lebens wiederherzustellen, als Chilcapamba: ueberall blueht und blumt es, das ganze Jahr ueber, ununterbrochen und unaufhaltsam. Alles lebt, kriecht, kaempft. Man muss nur hinschauen und nicht sofort wieder weggucken.

Doch wie kam ich ueberhaupt auf das Erbsen-Feld dort oben in den Anden?


Ihren Ausgangspunkt nahm meine Reise durch Nord-Ecuador vor einer Woche in Otavalo, einer 20.000-Einwohner-Stadt zwei Stunden noerdlich von Quito. Grosse Teile der Bergregionen Ecuadors, aber auch des Amazonas-Tiefland im Osten, sind indigen gepraegt, d.h. ein Grossteil der Bevoelkerung stammt unmittelbar von den Ureinwohnern Suedamerikas ab - was sich unter anderem an einem dunkleren Hautton, lang-getragenen Haaren und traditioneller Kleidung erkennen laesst. Otavalo ist gewissermassen die indigene Hochburg, denn hier findet jeden Samstag der groesste Indio-Markt Suedamerikas statt, auf dem indigene Kleidung, Schmuck, Wandteppiche, Taschen etc. vertrieben wird.

Ich blieb zunaechst zwei Naechte in der beschaulichen Kleinstadt Cotocachi, eine halbe Stunde von Otavalo entfernt. Von dort aus habe ich am Montag einen Ausflug zur Kraterlagune Cuicocha unternommen, die direkt am Hang des Cotocachi-Vulkans gelegen durch und durch pittoresk daher kommt und tolle Blicke auf sowohl auf das schneebedeckte Haupt von "Mutter" Cotocachi (bei meinem Besuch leider in Wolken) als auch auf den vielleicht 20km entfernten "Vater" Vulkan Imbaburra gestattet.

Die Kraterlagunge von Cuicocha

Dort erinnerte ich mich dann an einen Tipp, den ich hier in Deutschland von der franzoesischen Freundin eines Arbeitskollegen bekommen hatte. Etwas verunsichert waehlte ich also eine Telefonnummer und vereinbarte in ausserordentlich holprigem Spanisch eine Verabredung fuer den naechsten Tag. Auf dem Weg zu dieser fuhr ich vom Dorf Quiroga aus stets bergauf ueber eine Strasse, die diese Bezeichnung eher nicht verdient, vorbei an bellenden Hunden, beharrlich guckenden Kindern und alten Frauen mit zerpferchten Gesichtern. Dann, ploetzlich, hielt mein Taxi vor einer kleinen Hofeinfahrt, inmitten von Feldern und Bergluft.

Direkt vor der Haustuer: der Cotocachi (4.939 m)

Hier war ich also, am Haus und Hof von Alfonso Morales und seiner Frau Francisca, stolze Eltern von drei Kindern und Besitzer von einer Handvoll Schweine, einer Schar Hunde, von Huehnern und Kuehen. Ehe ich mich versah war ich in ein wildes Fussballspiel mit Victor (13), Concuela (11) und Tupac (5) verwickelt, half beim Fuettern des 150kg-Schweins im Garten und wurde von der Schar heranwachsender jedoch liebevoller Hunde angesprungen.

Die naechsten drei Tage lebte ich zusammen mit der Familie und begleitete Alfonso auf all seinen Gaengen durch das Dorf und seinen Fahrten in andere Regionen. Zusammen mit seinen Geschwistern ist Alfonso fester Bestandteil der Leitung der Kommune Chilcapamba, die sich geformt und mit anderen Kommunen zusammengeschlossen hat, um fuer die Rechte der indigenen Bevoelkerung einzutreten. Selbige in Chilcapamba lebt den Zwiespalt zwischen Erhalt der Traditionen und Weltoffenheit auf beeindruckende Weise.

Grosse Teile des Dorfes leben nach wie vor vom Anbau von Mais, Kartoffeln, Erbsen, Bananen etc. sowie von der Tierhaltung. Ein anderer Teil der Kommune hat sich auf Kunsthandwerk spezialisiert, d.h. sie weben Pullover, Muetzen und Wandteppiche aus Alcapa-Wolle oder flechten aus Kakteen extrahierte Fibern zu den traditionellen Schuhen der Indigenas. Und dann sind da Alfonso und sein Bruder, die vor zehn Jahren einen Kredit aufnahmen um ihre Haeuser zu vergroessern und seitdem Touristen ein indigenes Leben zeigen, das auf den Grundpfeilern der Naturverbundenheit, des Kulturerhalts und des Familienbezugs aufbaut. Der "kommunitaere" Tourismus Chilcapambas kommt dabei ohne Hinweise in Reisefuehrern oder Homepages aus. Lediglich die Mund-zu-Mund-Propaganda gewaehrleiste, dass nur jene Touristen den Weg ins Dorf finden, die auch wirklich Interesse am Leben der Indigenas haben, meint Alfonso.

In der Tat waren die drei Tage so weit von der Superlativ- und Durchreise-Mentalitaet der Lonely-Planet-Juenger entfernt, dass ich mich nur sehr widerwillig nach drei Tagen verabschiedet habe, um auch noch weitere Teile Ecuadors sehen zu koennen - in denen mir eben jene Mentalitaet wohl wieder verstaerkt begegnen wird.

Die drei Tage selber waren gehaeufte Glueckseeligkeit im Bezug auf die mich umgebende Natuerlichkeit und viele neue, zum Teil nachdenklich stimmende, aber ueberwiegend sehr inspirierende Eindruecke. Beispielsweise habe ich noch nie so gluecklich wirkende und zugleich offene Kinder erlebt, wie die Kinder Alfonsos. Zufrieden mit ihrer Umgebung haben sie den Blick fuer die Feinheiten der Natur um sie herum noch nicht verloren und scheinen so etwas wie Langeweile nicht zu kennen - was sicherlich auch den sorglosen und gelassenen Umgang ihrer Eltern mit ihnen widerspiegelt.


Es gaebe noch vieles mehr zu erzaehlen, aber das wuerde hier glaube ich den Rahmen sprengen, sodass ich gegebenenfalls an anderer Stelle darauf zurueckkommen werde. Festzuhalten bleibt, dass Chilcapamba ein Ort ist, der so andersartig-natuerlich ist, dass er mir die Augen fuer etwas geoeffnet hat, das drohte, verloren zu gehen. Ich hoffe lange daran festzuhalten und von nun an die Sinne weiten zu koennen, auf der Suche nach dem wahren, dem guten Leben.

1 Kommentar:

  1. hallöchen rob,
    toller text. macht freude und piekst an die richtige stelle...
    bin gespannt auf live-erzählung!

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