Samstag, 31. Juli 2010

Huancayo

Es kam uns so vor, als seien wir auf dem Mars gelandet. Oder zumindest im Wilden Westen. Jeder unserer Schritte auf dem steilen Lehmpfad wirbelte eine kleine Sandwolke auf. Die Sonne knallte erbarmungslos und die trockene Bergluft hatte laengst den letzten Tropfen Feuchtigkeit aus unserer Haut gesogen. Am Wegesrand reihten sich broeckelnde Haeuser auf, in deren Schatten unrasierte Maenner kauerten und alte Frauen Stickereien anfertigten. Wir begegneten zahllosen streunenden Hunden, die jedoch kein Interesse an uns zu haben schienen - genauso wenig wie die fussballspielenden Kindern, an denen wir hin und wieder vorbei kamen.


Es erschien uns etwas surreal, dass wir eine halbe Stunde zuvor im Zentrum Huancayos noch in einer riesigen, klimatisierten Shopping-Mall einkaufen waren, die sich genauso gut in Deutschland haette befinden koennen. Doch hier, am Rande der Stadt, schien die Zeit stehen geblieben zu sein und die einzigen Globalisierungsfaeden in unsere Welt waren vereinzelte Kioske, die Coca Cola Flaschen verkauften.

Wir befanden uns auf dem Weg zu dem Mini-Canyon Torret Torret, der einen ausserhalb der Stadt beginnenden Berghang durchpfluegt. Der Wind hat hier im Laufe der Jahrtausende eine Schneise in den Berg gefressen und einige Fels-Saeulen stehenlassen. Oben bei den roetlichen Felsformationen angekommen, genossen wir die Aussicht auf diese gegensaetzliche Stadt, die sich unter uns im Dunst der Hochlandsteppe ausbreitete.

Turmartige Felsformationen

Es war unser zweiter Tag in Huancayo. Die Hoehenluft machte uns noch etwas zu schaffen, jedoch bei weitem nicht mehr so sehr wie am Tag zuvor. Nach der ersten Nacht hatten wir unser Hostal gewechselt und wohnten nun im Backpacker-Treff La Casa de la Abuela, das mit Papagei, Hund, Katze und goldigem Kleinkind im Garten ein bisschen an die Villa Kunterbunt erinnert.

Die Kathedrale von Huancayo

Vor unserem Ausflug zu den Felstuermen hatten wir noch eine Prozession im Zuge des Nationalfeiertages begleitet: Maenner mit Hueten, die auf Blasinstrumenten die Geraeuschkulisse fuer die Taenze ihrer Trachten-tragenden Ehefrauen liefern und dabei eine durch und durch ansteckende Froehlichkeit verspruehen. Interessant in diesem Zusammenhang war auch, dass so gut wie jedes Haus an dem wir an diesem Tag vorbeikamen, die peruanische Nationalflagge gehisst hatte - offenbar ist Patriotismus hier Buergerpflicht.

Nationalfeiertag-Umzug mit tragbarer Harve

Gestern dann besuchten wir einen grossen Markt, auf dem riesige Ferkel ueber offener Flamme gegrillt und Lama-Schoenheits-Wettbewerbe abgehalten wurden. Unser anschliessender Besuch der einige Kilometer entfernten Ruinen der Waki-Kultur (die von den Inkas verdraengt wurden) verlief jedoch etwas enttaeuschend, da nicht viel mehr als ein quadratischer Mauerrest von der einstigen Siedlung uebrig geblieben ist.

Lama-Schoenheitswettbewerb

Allgemein hatten wir waehrend unseres Aufenthalts in Huancayo an der Informationsarmut im Hinblick auf touristische Aktivitaeten zu knabbern. Zwar versuchte man uns an jeder Ecke, irgendwelche Touren aufzuschwaetzen (es gibt offenbar viele peruanische Touristen in Huancayo), aber ein unabhaengiges, informationsspendendes Touristenbuero suchten wir vergebens. Obendrein frustrierten uns unsere Reisefuehrer (Lonely Planet Peru und Footprint Southamerica), die diese Region offenbar hoechst nachlaessig recherchiert hatten und uns entweder nicht weiterhalfen oder mit Fehlinformationen verwirrten - damit zahlten wir wohl den Preis fuer unser Bestreben, uns abseits der ausgetretenen Touristenpfade zu bewegen. Folglich erinnerte ich mich regelrecht nostalgisch an meinen Ecuador-Reisefuehrer von Volker Feser, der einen auch in abgelegeneren Regionen nicht im Stich gelassen hat.

Heute schliesslich wollten wir eigentlich Huancayo Richtung Huancavelica verlassen. K. hat jedoch das zweite unumgaengliche Anpassungsstadium jeder Suedamerika-Reise erreicht (nach der Hoehenkrankheit) und sich den Magen verdorben. So haben wir unseren Aufenthalt hier etwas verlaengert. Bald geht es dann aber weiter Richtung Sueden, wohl direkt ins huebsche Andenstaedtchen Ayacucho, das als Uebergangsstation nach Cusco und Arequipa dienen soll.

Mittwoch, 28. Juli 2010

Lima - Die Stadt der hupenden Autos

Nach meiner strapazioesen Reise in die Hauptstadt Perus brauchte ich etwas Zeit, um die mueden Knochen zu regenerieren. Das entpuppte sich als gar nicht so einfaches Unterfangen, in einer Metropole mit acht Millionen Einwohnern, die gerade diese gewisse Entwicklung zur Stadt mit Erster-Welt-Status durchlaeuft.
Die Smog-Glocke ueber der Stadt vermischt sich dabei taeglich mit den Nebelschwaden, die in der Trockenzeit vom Meer her ueber die Stadt ziehen (Lima liegt unmittelbar an der Pazifikkueste). Dieser Dunst verleiht insbesondere der ersten Tageshaelfte eine leicht bedrueckende, melancholische Grundstimmung, die wohl ueber die Jahrhunderte schon den ein oder anderen Poeten zu Hoehenfluegen inspiriert haben soll.

Der Plaza Mayor bei Nacht

Zwar entschied ich mich, im historischen Zentrum zu naechtigen, doch auch da (oder gerade da) war an Ruhe eher nicht zu denken. Jeder Spaziergang wurde zum Spiessroutenlauf auf engen Buergersteigen in noch engeren Gassen, in deren Mitte sich irgendwie eine zweispurige Hauptverkehrsstrasse eingefunden hatte. Wenn einem nicht wilde Taxifahrer bei der Ueberquerung eben jener Gassen nach dem Leben trachteten, wurde man alle zwei Meter von Strassenverkaeufern, Restaurantangestellten oder einfach suspekt-aussehenden Menschen angesprochen, die einem dies oder jenes aufschwatzen wollten. Besonders extrem empfand ich das in der Fussgaengerzone, wo man weit und breit der einzige Tourist zu sein schien, aber "hey gringo, do you want weed?"-Sprueche ignorieren oder dubiosen Gestalten ausweichen musste, die einem unbedingt eine nicht weniger dubios aussehende Karteikarte auf die nackte Handflaeche pressen wollten.

Ein Maler nutzt einen seltenen Augenblick der Ruhe

Das hoert sich jetzt alles ziemlich negativ an. Aber im Grunde hat mir Lima gut gefallen. Die imposante Kolonialarchitektur in Lima Central, die weitlaeufigen Plaetze mit ihren Fountaenen und Kirchen, die ausgezeichnete Kueche fuer wenig Geld. Es ist durchaus eine Stadt in der man ein bisschen Zeit verbringen kann; wenn, ja wenn nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit ein nicht endenwollendes Hup-Konzert durch jede der vielbefahrenen Gassen schallen wuerde. Nicht besser wird dieser Missstand durch die Tatsache, dass fast ausschliesslich in komplett unnoetigen Siutationen gehupt wird. Zwischenzeitlich hegte ich den Verdacht, die Hupe koennte irgendwie mit dem Bremspedal gekoppelt sein. Nach einiger Beobachtung stelle sich aber heraus: Peruaner in Lima hupen schlichtweg zum Zeitvertreib.

Ein wenig Ruhe bot meine glaube ich ziemlich einzigartige Bleibe Hostal España, die eher einem Pariser Museum im Kolonialstil als einem lateinamerikanischen Hostal zu gleichen schien. Neben den mit goldgerahmten Gemaelden verzierten Zimmern und Fluren gab es sogar eine Dachterasse mit Adonis-Statuen, Papageien und Ausblick ueber Lima. Das, zusammen mit dem guten Preis hat dann auch wettgemacht, dass die Besitzer-Familie unglaublich unfreundlich war und der Hund selbiger ganz gerne mal vor die Zimmertuer gemacht hat.

tasaechlich eine Budget-Bleibe: Hostal España

Der Papagei sagte immerzu "hola!"

Sonntag habe ich dann wie geplant K. vom Flughafen abgeholt. Nun waren wir also zu zweit und meine Reise auf eigene Faust hatte ihr Ende gefunden. Dabei zeigt sich das lachende Auge deutlich groesser als das weinende, auch wenn ich das Alleinreisen durchaus lieb gewonnen habe und das - so hoffe ich - nicht meine letzte Reise mit meinem Backpack als einzigem Begleiter gewesen ist.

Eigentlich hatten wir vor, K´s Jetlag ein bisschen ausklingen zu lassen. Montag abend haben wir aber gesehen, dass am 28./29. Juli der peruanische Unabhaengigstag ist, um den herum es unmoeglich sein sollte, einen Bus aus Lima heraus zu finden. Da wir mittlerweile Gehupe und Gedraengel als etwas anstrengend empfanden, bemuehten wir uns dennoch darum, eine zeitnahe Verbindung in die Berge zu buchen. Nach einem halbtaegigen Marathon-Marsch von Terminal zu Terminal wurde uns aber klar, dass das wohl wegen des Feiertags wirklich eher schwierig werde wuerde und alle Busse der naechsten vier Tage ausgebucht seien. Drum entschlossen wir uns zu einer Verweiflungstat und kauften die letzten beiden, vollkommen ueberteuerten Tickets in einem Bus der gehobenen Busgesellschaft Cruz del Sur (man muss dazu sagen: die Preise an Feiertagen steigen um bis zu 100%).
So sagten wir Lima Dienstag nacht gegen 23:45 adios und fuhren in breiten, umlegbaren Ledersitzen hinauf in die Anden. Dabei ueberquerten wir einen 4200 m hohen Pass, in dessen Naehe uns das Atmen aufgrund der Hoehenluft eher schwer viel. Dann ging es aber hinab ins Hochplateau der zentralen Andenregion Perus und wir wurden mit einem Sonnenaufgang ueber kristallklaren Andenfluessen entschaedigt.

Abendstimmung ueber den Daechern Limas

Gegen 8:30 erreichten wir die 200.000-Einwohner-Stadt Huancayo, auf 3200 m in einem Bergkessel gelegen. Hier wollen wir ein bisschen bleiben und uns an die Hoehe gewoehnen - heute fiel noch jeder Schritt in der Hochgebirgsluft sehr schwer, und K., die noch kein Ecuador-Training hinter sich hat, kaempft mit Unwohlsein.
Angenehm aufgefallen ist uns aber, dass hier Autos nur dann hupen, wenn das Hupen einen Zweck erfuellt. Ausserdem scheinen wir mit die einzigen Touristen hier zu sein. Trotzdem fuehlen wir uns nicht als unangenehme Fremdkoerper, sondern sind angetan, von der offenen, freundlichen Art der Menschen. Im Anschluss an Huancayo soll es weiter nach Sueden durch die Berge gehen, abseits der am Meer entlang fuehrenden Haupt-Touristen-Route, hin zu Ruinen, die niemand kennt und in Taeler, durch die auch zu Konquisita-Zeiten einst nur Inkas streiften.

Samstag, 24. Juli 2010

Eine Reise mit Hindernissen

"South America - everything is possible, nothing is secure." - Backpacker Weisheit

Die Reise nach Lima begann am Busterminal in Loja um 7:00 am Donnerstag morgen. Von dort sollte es mit einem Bus von Transportes Loja in acht Stunden nach Peru gehen, in die noerdliche Grossstadt Piura. Im Bus war ich ueberrascht, zwei Leute aus meiner Sprachschule in Quito sowie ein argentinisches Paerchen, das ich im Hostal in Cuenca kennengelernt hatte, wiederzutreffen. Fuenf Studen lang folgten wir einer kurvigen Strasse durch die Auslaeufer der Vulkanstrasse Richtung Peru. Je weiter wir nach Sueden kamen, desto karger wurde die Landschaft. Die saftig gruenen, von Feldern ueberzogenen Berghaenge Ecuadors wichen einer Huegellandschaft, durchzogen von verdorrten Steppentaelern und bevoelkert von einsamen Eseln.

Nach fuenf Stunden erreichten wir die peruanische Grenze. Die Grenzformalitaeten waren einfach, der scherzende Grenzbeamte sprach sogar Deutsch und gab mir bereitwillig eine Aufenthaltsgenehmigung fuer 90 Tage - fuer einen laengeren Zeitraum als diesen braucht man ein Visum. Dann, zehn Minuten hinter der Grenze (ich war gerade dabei mir aus dem aktuellen Lonely Planet einer Amerikanerin ein billiges Hostal in Piura rauszusuchen), blieb der Bus ploetzlich stehen. Motorschaden. Wir befanden uns mitterweile jenseits der Huegel in einer wuestenartigen Landschaft, in der es nicht viel gab ausser unserer Strasse. Nach kurzer Zeit war klar, dass der Bus nicht weiter fahren wuerde. Die zehn verbleibenden Fahrgaeste (der Grossteil war vor der peruanischen Grenze ausgestiegen) fingen an, aufgeregt mit dem Busfahrer und dem Fahrkartenkontrolleur zu streiten, wobei sich insbesondere eine Argenentinierin hervortat, die stritt, wie es wohl nur aufgebrachte Argentinierinnen tun koennen. Da kein weiterer Bus kommen wuerde, um uns mitzunehmen, war nach zehn Minuten ausgehandelt, dass wir vier der zehn Dollar des Fahrpreises wiederbekommen, dann aber sehen muessen, wie wir nach Piura kommen. Ehe dieser Deal in die Tat umgesetzt werden konnte, hielt ein rotes Auto mit einem jungen Mann am Steuer und einer aelteren, uebergewichtigen Frau auf dem Beifahrersitz. Diese boten freundlich an, einige von uns mitzunehmen. So wurde der Plan geaendert: die Busgesellschaft gab kurzerhand den beiden 20$ und fuenf von uns (das chilenische Paerchen, ein Paerchen aus Hong Kong und ich) quetschten sich auf die Rueckbank, unsere Rucksaecke wurden aufs Dach geschnallt und los ging die Fahrt.

Wie uns etwas spaet auffiel, war der Kofferraum voll mit Kisten, die jede Menge Packungen voller ecuadorianischer Kekse enthielten. Voerst machten wir uns keine grossen Gedanken darueber und waren gluecklich, doch noch nach Piura zu kommen. So schossen wir ueber die Wuestenstrasse, waehrend der Auspuff des etwas ans Batmobil erinnernden, auf Hochtouren roehrenden PKWs bestaendig knallte und wir das ein oder andere Mal dachten, gleich waere es auch um diesen Motor geschehen. Nachdem die Argentinier aber ein bisschen dem Gespraech unserer Mitfahrgelegenheit gelauscht hatten, aenderte sich unser Gemuetszustand etwas. Aus diesem ging naemlich hervor, dass die beiden ihre Keks-Fracht (und was auch immer sich sonst noch in den Kisten versteckt hielt) ueber die Grenze geschmuggelt hatten und jetzt vorhatten, jeglicher Polizeikontrolle aus dem Weg zu gehen.

Dies stellte sich als schwieriges Unterfangen heraus, denn keine fuenf Minuten spaeter wurden wir von der ersten Polizeikontrolle angehalten. Doch es reichte ein kurzes Zuwinken und Zunicken unseres Fahres und vorbei waren wir - offenbar kennt man sich unter Schmugglern und Grenzpolizisten. Bei der naechsten Polizeikontrolle reichte der Gruss offenbar nicht: wir mussten aussteigen, Paesse zeigen. Dann jedoch verschwindet die uebergewichtige Beifahrerin mit einem Polizisten hinter dem Polizeiauto, ein paar Geldscheine werden per Handschlag ueberreicht und weiter geht die Fahrt. Nachdem sich dieses Spielchen noch einmal wiederholt hatte, bog unser Auto ploetzlich von der Hauptstrasse auf eine sandige Nebenpiste ab.

Unser Fahrer versicherte uns, dass es jetzt drei oder vier Kilometer auf eine andere Hauptstrasse gehen wuerde. Als wir nach 30 Minuten noch immer auf der Schotter- und Sandpiste entlang eines verlassenen Kanals entlangrasten, begannen wir uns ein bisschen Sorgen zu machen. Irgendwann hielt das Auto vor einem Haus. Motor ueberhitzt. Doch nach kurzer Zeit ging es weiter, ohne dass irgendjemand ausser ein paar Kindern von uns Kenntnis genommen hatte.

Schliesslich erreichten wir eine asphaltierte Strasse und in der Ferne erschienen die Randbezirke von Piura. Wir waren erleichtert - ein Teil von uns hatte mittlerweile schon damit gerechnet, in einem abgelegenen Wuestendorf ueberfallen und ausgesetzt zu werden. Unser Fahrer konnte uns jedoch nicht am Busterminal Piuras rauslassen, weil da Leute seien, die ihn nicht sehen duerften. Auch betonte er die ganze Zeit gegenueber seiner Mitfahrerin, dass ueberall Polizei sei und er am besten ueberhaupt nicht in die Stadt reinfahren sollte. Auf unser Draengen hin wurden wir aber doch an einem Markt abgesetzt, vornehmliche Abladestelle der Kekse. Wir waren uns mittlerweile nicht mehr so ganz sicher, ob es hier nur um Kekse ging. Aber wir waren froh, heil in Piura angekommen zu sein und riefen uns schnellstmoeglich ein Taxi zum Terminal.

Ich hatte mich mittlerweile entschieden, zusammen mit dem argentinischen Paerchen noch am selben Tag nach Lima weiterzureisen. Drei Stunden spaeter, gegen 19:30, verliess der Reisebus von "Cruz del Sur" Piura. Mit halb umklappbaren Polstersitzen, einer Bus-Stewardess und zwei Bordmalzeiten verlief die 17-stuendige Fahrt nach Lima ueberraschend luxurioes. Ich konnte sogar etwa acht Stunden schlafen. Gegen 12:30 am Freitag erreichten wir das in Nebelschwaden gehuellte Lima. Jenseits der Duenen der Sandwueste sah ich zum ersten Mal den Pazifik. Die Landschaft haette kaum anders sein koennen als im bergig-dschungligen Ost-Teil Ecuadors. Wenig spaeter habe ich ein Hostal im Zentrum von Lima gefunden und schlenderte ueber den Plaza Mayor. Es fuehlte sich ein bisschen irreal an, hier zu sein, so weit weg von Ecuador. In der Nacht schlief ich wie ein Baby, trotz der bis tief in die Nacht schwaetzenden Japaner in meinem Schlafsaal.

Dienstag, 20. Juli 2010

Baños und der Sueden

Ich haette gewarnt sein sollen. Nicht nur, dass die Stadt so heisst wie die sanitaeren Einrichtungen an jeder beliebigen Strassenecke. Nein, auch dieses gewisse Leuchten in den Augen von (nord-)amerikanischen Ecuador-Reisenden, wenn immer sie von Baños sprechen, haette mich skeptisch machen koennen. Aber so, ganz naiv, dachte ich, aha, da gibt es etwas zu sehen, was Menschen nachhaltig beeindruckt hat. Also baute ich das 20.000-Einwohner-Staedchen auf meinem Weg nach Sueden in meine Route ein. In Baños angekommen, bin ich dann etwas ernuechtert von dem ueberschaubaren Stadtbild, nehme aber durchaus zur Kenntnis, dass der Ort durchaus ganz nett gelegen ist, in einem Tal, das im Westen in die Hochebene zwischen den Vulkanen aufsteigt und im Osten gemaechlich gen Amazonasbecken abfaellt.

Dann aber gehe ich am naechsten Morgen nichts ahnend in ein Café, werde in unfreundlichem Englisch begruesst und stosse mit der Aeusserung auf Unverstaendnis, dass 4$ ein bisschen viel fuer mein Budget in Ecuador sind. Draussen, vor dem Café, fallen mir dann schliesslich die Schuppen von den Augen: Touristen bzw. gringos soweit das Auge reicht und nirgendwo auch nur ein Fuenkchen ecuadorianischer Authenzitaet. Sind Hochseilaktionen rund um Wasserfaelle und Seil-Spruenge von Bruecken, die man an jeder Ecke buchen kann, irgendein Bestandteil der ecuadorianischen Kultur, den ich bisher uebersehen habe oder suchen viele Rucksackreisende einfach etwas anderes als ich?

So verliess ich die Stadt noch am selben Tag und dachte mir etwas boeswillig, dass nicht viel von Ecuador verschuettet werden wuerde, wenn der hochaktive Vulkan Tungurahua, der ueber der Stadt thront, demnaechst ausbricht.

Nach meinem wenig inspirierenden Aufenthalt in Gringobamba (ja, das ist tatsaechlich der Spitzname von Baños) habe ich die siebenstuendige Busfahrt nach Cuenca angetreten. Aufgrund meines spaeten Aufbruchs in Baños kam ich dort jedoch erst gegen 22 Uhr an. Widererwartend lief aber alles reibungslos - Taxi gefunden, in die Innenstadt fahren lassen, zwei Minuten lang Hostal gesucht und eingecheckt.

Im suedlichen Teil der Vulkanstrasse Ecuadors gelegen, widersetzt sich auch Cuenca (300.000 Einwohner) meinen Erwartungen. Statt Anonymitaet und Hauptverkehrstrassen erwarten den Besucher eine von gepflasterten Gaesschen durchzogene Altstadt, die nicht vollkommen zu unrecht den Spitznamen "Athen Ecuadors" traegt. Mediterrane Freundlichkeit, landestypische Maerkte mit Waren anpreisenden Marktschreierinnen an jeder Ecke und handwerkende Menschen hinter jeden dritten Tuer, an der man vorbeilaeuft.

Ein Panama-Hut-Macher in Cuenca

Zudem befinden sich gleich sieben Kirchen in der Altstadt, von denen die neue Kathedrale wohl die beeindruckenste ist. Ende des 19. Jahrhundert von einem Schwaben (!) erbaut, hat sich in das prunkvolle Bauwerk leider ein architektonischer Baufehler eingeschlichen, der verhinderte, dass die neue Kathedrale von Cuenca die groesste Lateinamerikas wurde. Trotzdem ist die Wirkung des Gebaeudes mit seinen drei himmelblauen Kuppeln nicht zu unterschaetzen. Man fuehlt sich regelrecht verloren, wenn man eintritt, die Saeulen sind aus rotem Marmor und eine 10 Meter hohe, vergoldete Halbkuppel schwebt ueber dem Altar.
Auch als jemand der seine Probleme mit der katholischen Kirche hat, hat mich dieses Bauwerk auf gewisse Weise inspiriert. Hat es mir doch wieder mal eindruecklich veranschaulicht, dass der Glaube an Dinge, die jenseits unser Wahrnehmung liegen, ein bedeutend groesserer Antrieb fuer den Menschen zu sein scheint (und ihn Kathedralen erbauen laesst), als so ziemlich alles andere.


Die neue Kathedrale von Aussen

in der neuen Kathedrale: Johannes Paul II. und eine riesige Goldkuppel

An meinem ersten Abend in Cuenca fiel mir auf, dass fast nur Einheimische in der Kneipenstrasse unterwegs sind. Trotzdem habe ich bei einem abendlichen Bier zufaellig wieder eine Gruppe sehr netter Volontaere kennengelernt (diesmal aus Oesterreich, den USA und China), mit denen ich am naechsten Morgen in den nahe gelegenen Nationalpark El Cajas gefahren bin. Hier haben wir bei fuerstlichem Wetter eine schoene Wanderung zwischen kleinen Bergseen gemacht, jedoch weder Pumas noch den Andenkondor gesichtet.

El Cajas Nationalpark

Abends im Hostal habe ich dann einen amerikanisch-mexikanischen Fotographen kennengelernt, der einen Bildband ueber die Menschen Ecuadors erstellt und wirklich beeindruckende Photos schiesst und wie kein anderer Mensch, den ich bisher getroffen habe, einen Blick fuer die Feinheiten des Augenblicks zu haben scheint. Mit ihm und ein paar anderen Leuten aus dem Hostal wurde dann ein wenig gefeiert, was aber relativ vernuenftig ausfiel, da ich am naechsten Morgen nach Loja aufbrechen wollte.

Loja, als letzte groessere Stadt im Sueden Ecuadors vor der peruansichen Grenze, hat bislang mein positives Bild vom Sueden Ecuadors bestaetigt. Entspannte Menschen, die es ruhig angehen lassen, ein ausgepraegtes Sicherheitsgefuehl und ein Wetter, das mich nicht mehr neidisch auf die momentane Hitzewelle in Europa macht. Um dieses zu zelebrieren, bin ich heute ein wenig im Botanischen Garten spaziert (und habe ein klein wenig bereut, dass ich keine Ahnung von Botanik habe) und bin anschliessend auf den Hausberg ueber Loja geklettert. Dort, einsam auf einem Felsvorsprung mit Blick ueber die Stadt in der strahlenden Mittagssonne sitzend, habe ich ein wenig im Glasperlenspiel gelesen und mich auf dem richtigen Weg gefuehlt, hin zum Begreifen der Welt auf allen Ebenen und dem vollendeten Leben im Sinne eines Hermann Hesse.

Mit Blick auf Loja

Morgen frueh werde ich Ecuador ueber die peruanische Grenze verlassen. Ich bereue ein bisschen, nicht ein wenig mehr Zeit in diesem faszinierenden Land gehabt zu haben. Hier haette ich ohne weiteres meine gesamten drei Monate verbringen koennen. Deswegen werde ich wohl wiederkommen, irgendwann - vielleicht auf meiner naechsten Suche nach Inspiration und Authenzitaet. Doch jetzt freue ich mich auf Peru und ein gewisses Rendevouz am Flughafen Limas, zu dem ich am Sonntag eilen will.

Freitag, 16. Juli 2010

Aus dem Hochland in den Dschungel

Nach meiner Zeit mit Familie Morales ging es Richtung Westen, aus der Hochebene der Vulkane hinab in den Nebelwald. Eine dreistuendige, holprige und kurvenreiche Busfahrt von Otavalo aus, die ich stehend in einem zu niedrigen und ueberfuellten Bus verbringen musste, brachte mich schliesslich in die Intag-Region. Hier, auf 1.400 m Hoehe, befindet man sich im subtropischen Klima. Weitlaeufige, von dichter Vegetation bewachsene Bergkaemme zerpfluegen die Landschaft, in den Taelern fliessen zu stattlichen Fluessen angewachsene Gebirgsbaeche.

Mich zog es hier zu den Thermalbaedern von Nangulvi, die sich jedoch als mittelgrosse Enttaeuschung entpuppten. Ich hatte irgendwie mehr erwartet als ein paar schmutzige Schwimmbecken mit warmem Wasser. In der Region waren vor allem einheimische Touristen unterwegs und ich hatte Pech mit meinem Hostel: schmutziges Zimmer, bewohnt von Ameisen, mit bedenklich brummendem Flacker-Licht und hauchduennen Waenden.

Blick ueber die Intag-Region

Ich blieb nur eine Nacht in der Naehe von Apuela, machte am Morgen vor meiner Weiterreise jedoch noch eine beeindruckende Wanderung aus dem Tal hinauf auf einen der Bergkaemme. Gesucht habe ich ein paar Ruinen aus einer praekolumbischen Zeit, die ich jedoch nicht fand. Stattdessen wurden mir aber einige faszinierende Einblicke in das Leben zwischen Bananenplantagen, Wasserfaellen und schnell vorueberziehenden Nebelschwaden zuteil. Die Menschen der Intag-Region scheinen ihrem Tagesgeschaeft mit ausserordentlicher Gemuetlichkeit nachzugehen - ich habe mich allerdings einige Male penetrant angestarrt gefuehlt; vielleicht, weil sich nicht viele gringos in diese entfernte Gegend verirren.

In anderem Masse ist Intag aber eine Region mit Vorbildcharakter: die Bewohner haben sich mehrfach politisch organisiert, u.a. um die sie umgebende Natur im Kampf gegen skrupellose Minenfirmen zu beschuetzen. Auch erwaehnenswert ist die einst von Entwicklungshelfern gestartete Intag-Zeitung, die ueber das Leben der indigenen Bevoelkerung und kommunale Geschichten berichtet - haette ich nach dem Abitur doch hier mal ein halbes Jahr verbracht.

Zurueck in Otavalo wollte ich mich von dem koerperlich anstrengenden Abstecher erholen (um den Bus zurueck ins Leben zu kriegen, musste ich mehrfach die Haltestelle wechseln, sprinten, schwitzen, und schliesslich feststellen, dass einem drei Ecuadorianer garantiert drei verschiedene Sachen ueber den Busfahrplan erzaehlen).
Aus meinem Plan, gediegen im Hostel zu faulenzen, wurde aber nichts, denn: ich habe mir meine Regenjacke klauen lassen. Wie das geschehen ist, weiss ich nicht. Tatsache war aber, dass sie als ich nach Nutzung des Internets das zugehoerige Cafe verlassen wollte, nicht mehr hinter mir hing. Da jegliches Nachfragen und Gesuche vergeblich war, habe ich mich auf den Weg nach Quito begeben und bei einem ecuadorianischen Outdoor-Ausstatter fuer 50$ einen fast gleichwertigen Ersatz erstanden.

Nach einer Nacht in Quito in der Backpacker´s Inn ("Che Guevara haengt im Treppenhaus"), wo ich Backpacker verschiedenster Coleur kennenlernte, mit denen ich unter anderem den grandiosen Film Kick-ass schaute, bin ich in Richtung Regenwald aufgebrochen.
Dienstag abend kam ich im kleinen Dschungel-Dorf Misahualli an, das etwa eine Stunde oestlich von der Provinzhauptstadt Tena und fuenf Buststunden sued-oestlich von Quito liegt. Die Strasse dorthin ging staendig bergab, aus der Ebene zwischen den Vulkanen hinab ins Amazonas-Becken. An manchem Punkt konnte man geradezu spueren, dass dort, in Richtung Tal, keine Berge mehr kommen und das keine Erhebung den Blick gen Atlantik auffangen wuerde - auch wenn man es wegen dichter Wolken leider nicht sehen konnte.

Misahualli zeigte sich erstaunlich mild, auf dem Plaza vor meinem Hostal erinnerte aber eine Schar wild herumturnender Affen daran, dass man sich in den Tropen befindet. Diese Affen machten im Uebrigen jeden Weg quer ueber den von Brunnen und Palmen gezierten Dorfplatz zu einem kleinen Abenteuer - vollkommen hemmungslos sprangen sie Touristen und Einheimische an, nur um ihnen Taschen, Halsketten oder Feuerzeuge zu entreissen, die sie dann auf irgendein Dach schleppten um damit herumzuspielen. Rund um den Dorfplatz wurde daher Hostel-Gaesten eindringlich geraten, ihre Fenster zu jeder Tages- und Nachtzeit zu schliessen, da sonst Affen ins Zimmer eindringen und Verwuestung hinterlassen wuerden.

Der Strand von Misahualli

Auf der Suche nach Abendessen fande ich schliesslich meinen Weg ins Hostal Shaw, das der einzig belebte Flecken an diesem Abend zu sein schien. Ehe ich mich versah, war ich von einer Gruppe dort wohnender kanadischer Volontaere zu ihrer Abschlussfeier in einem indigenen Dorf flussabwaerts eingeladen, in dem die Kanadier zwei Wochen lang sanitaere Anlagen und Dschungelpfade errichtet hatten. So kam es, dass ich wenig spaeter in einem Motor-Kanu ueber den Rio Misahualli schoss, tropische Prise im Gesicht und Bier in der Hand, umgeben von der naechtlichen Symphonie eines Amzonas-Zubringers.

Durch den Dschungel mit dem Taxi-Camioneta

Der Abend war dann auch so lustig, dass mich die sympathischen Kanadier am naechsten Tag mit zum Rafting auf einem in der Naehe befindlichen Fluss schleppten. Hier kaempften wir unseren Weg durch Stromschnellen, kenterten mehrere Male fast und machten etliche Male intensive Bekanntschaft mit dem Wasser des Tropenflusses, das belebte, durchstroemte und begeisterte. Nur mit Schwimmweste durch Stromschnellen geschwemmt zu werden, in denen sich meterhohe Wellen vor einem auftun, war der ultimative Kontakt mit der Natur und bescherte mir ein bisher unbekanntes Gefuehl der Freiheit.

Schildkroeten im AmaZOOnico

Die Kanadier reisten noch am selben Abend ab. Am naechsten Morgen erkundete ich ein bisschen eigenstaendig die Umgebung und bestritt den etwas muehsamen Weg (Fussmarsch, Bus der erst nicht kam, Kanu) zu der Tier-Station AmaZOOnica, in der aus dem illegalen Handel gerettet Tiere aufgefangen und wieder an die Natur gewoehnt werden sollen. Bei dieser Gelegenheit sah ich Affen, Papageien mit absurden Farbkombinationen (blaue Schnaebel, gelbe Augen, rot-schwarze Federn!), eine Anaconda und sich paarende Schildkroeten. Gegen Abend machten mir dann aber ca. 40 Mueckenstiche an meinen Beinen zu schaffen, die ich mir am Vortrag zugezogen hatte. Ausserdem suchte das Dorf ein echter Tropenschauer heim, der in den Nachtstunden unvorstellbare Regenmassen auf die Erde niederprasseln liess und auch das Dach meines 7$-Zimmers ueberforderte: so tropfte es an mancher Stelle durchs Dach und Schlaf fand ich erst in den fruehen Morgenstunden.

Heute morgen habe ich dann den Dschungel verlassen und bin nun etwas weiter suedlich in den Subtropen, in Baños, dem "Tor zum Oriente". Hier will ich ein bisschen entspannen, ehe ich mich auf den gut 1000 km weiten Weg nach Lima mache. Auf diesem werde ich aber wohl noch einige Zwischenstationen einlegen, ehe ich morgen in einer Woche in der peruanischen Hauptstadt eintreffen moechte.

Sonntag, 11. Juli 2010

Das gute Leben (Chilcapamba)

Da stand ich also, auf einem Erbsen-Feld, mit Spitzhacke in der Hand und Schweiss in den Augen. Ueber mir knallte berstend die Aequator-Sonne und ploetzlich waren sie da, die Gedanken. Was macht das Wissen um Atom-Orbitale, Quanten-Objekte und Supernova-Schockwellen eigentlich wertvoller als das Wissen um den Geruch von frischen Zitrus-Blueten, den Klang von froehlichem Kinderlachen oder das Gefuehl von frisch aufgewuehlter, klebriger Erde in den Haenden?

Dort auf dem Feld im 500-Seelen-Doerfchen Chilcapamba, am Hang des Vulkans Cotocachi auf knapp 3000 m Hoehe, habe ich dann entschlossen, mir die Welt ein bisschen genauer anzuschauen, als das in den vergangenen Jahren der puren Vergeistigung der Fall war. Es scheint mir als koenne kein Ort geeigneter dafuer sein, den Kontakt zur sinnlichen Seite des Lebens wiederherzustellen, als Chilcapamba: ueberall blueht und blumt es, das ganze Jahr ueber, ununterbrochen und unaufhaltsam. Alles lebt, kriecht, kaempft. Man muss nur hinschauen und nicht sofort wieder weggucken.

Doch wie kam ich ueberhaupt auf das Erbsen-Feld dort oben in den Anden?


Ihren Ausgangspunkt nahm meine Reise durch Nord-Ecuador vor einer Woche in Otavalo, einer 20.000-Einwohner-Stadt zwei Stunden noerdlich von Quito. Grosse Teile der Bergregionen Ecuadors, aber auch des Amazonas-Tiefland im Osten, sind indigen gepraegt, d.h. ein Grossteil der Bevoelkerung stammt unmittelbar von den Ureinwohnern Suedamerikas ab - was sich unter anderem an einem dunkleren Hautton, lang-getragenen Haaren und traditioneller Kleidung erkennen laesst. Otavalo ist gewissermassen die indigene Hochburg, denn hier findet jeden Samstag der groesste Indio-Markt Suedamerikas statt, auf dem indigene Kleidung, Schmuck, Wandteppiche, Taschen etc. vertrieben wird.

Ich blieb zunaechst zwei Naechte in der beschaulichen Kleinstadt Cotocachi, eine halbe Stunde von Otavalo entfernt. Von dort aus habe ich am Montag einen Ausflug zur Kraterlagune Cuicocha unternommen, die direkt am Hang des Cotocachi-Vulkans gelegen durch und durch pittoresk daher kommt und tolle Blicke auf sowohl auf das schneebedeckte Haupt von "Mutter" Cotocachi (bei meinem Besuch leider in Wolken) als auch auf den vielleicht 20km entfernten "Vater" Vulkan Imbaburra gestattet.

Die Kraterlagunge von Cuicocha

Dort erinnerte ich mich dann an einen Tipp, den ich hier in Deutschland von der franzoesischen Freundin eines Arbeitskollegen bekommen hatte. Etwas verunsichert waehlte ich also eine Telefonnummer und vereinbarte in ausserordentlich holprigem Spanisch eine Verabredung fuer den naechsten Tag. Auf dem Weg zu dieser fuhr ich vom Dorf Quiroga aus stets bergauf ueber eine Strasse, die diese Bezeichnung eher nicht verdient, vorbei an bellenden Hunden, beharrlich guckenden Kindern und alten Frauen mit zerpferchten Gesichtern. Dann, ploetzlich, hielt mein Taxi vor einer kleinen Hofeinfahrt, inmitten von Feldern und Bergluft.

Direkt vor der Haustuer: der Cotocachi (4.939 m)

Hier war ich also, am Haus und Hof von Alfonso Morales und seiner Frau Francisca, stolze Eltern von drei Kindern und Besitzer von einer Handvoll Schweine, einer Schar Hunde, von Huehnern und Kuehen. Ehe ich mich versah war ich in ein wildes Fussballspiel mit Victor (13), Concuela (11) und Tupac (5) verwickelt, half beim Fuettern des 150kg-Schweins im Garten und wurde von der Schar heranwachsender jedoch liebevoller Hunde angesprungen.

Die naechsten drei Tage lebte ich zusammen mit der Familie und begleitete Alfonso auf all seinen Gaengen durch das Dorf und seinen Fahrten in andere Regionen. Zusammen mit seinen Geschwistern ist Alfonso fester Bestandteil der Leitung der Kommune Chilcapamba, die sich geformt und mit anderen Kommunen zusammengeschlossen hat, um fuer die Rechte der indigenen Bevoelkerung einzutreten. Selbige in Chilcapamba lebt den Zwiespalt zwischen Erhalt der Traditionen und Weltoffenheit auf beeindruckende Weise.

Grosse Teile des Dorfes leben nach wie vor vom Anbau von Mais, Kartoffeln, Erbsen, Bananen etc. sowie von der Tierhaltung. Ein anderer Teil der Kommune hat sich auf Kunsthandwerk spezialisiert, d.h. sie weben Pullover, Muetzen und Wandteppiche aus Alcapa-Wolle oder flechten aus Kakteen extrahierte Fibern zu den traditionellen Schuhen der Indigenas. Und dann sind da Alfonso und sein Bruder, die vor zehn Jahren einen Kredit aufnahmen um ihre Haeuser zu vergroessern und seitdem Touristen ein indigenes Leben zeigen, das auf den Grundpfeilern der Naturverbundenheit, des Kulturerhalts und des Familienbezugs aufbaut. Der "kommunitaere" Tourismus Chilcapambas kommt dabei ohne Hinweise in Reisefuehrern oder Homepages aus. Lediglich die Mund-zu-Mund-Propaganda gewaehrleiste, dass nur jene Touristen den Weg ins Dorf finden, die auch wirklich Interesse am Leben der Indigenas haben, meint Alfonso.

In der Tat waren die drei Tage so weit von der Superlativ- und Durchreise-Mentalitaet der Lonely-Planet-Juenger entfernt, dass ich mich nur sehr widerwillig nach drei Tagen verabschiedet habe, um auch noch weitere Teile Ecuadors sehen zu koennen - in denen mir eben jene Mentalitaet wohl wieder verstaerkt begegnen wird.

Die drei Tage selber waren gehaeufte Glueckseeligkeit im Bezug auf die mich umgebende Natuerlichkeit und viele neue, zum Teil nachdenklich stimmende, aber ueberwiegend sehr inspirierende Eindruecke. Beispielsweise habe ich noch nie so gluecklich wirkende und zugleich offene Kinder erlebt, wie die Kinder Alfonsos. Zufrieden mit ihrer Umgebung haben sie den Blick fuer die Feinheiten der Natur um sie herum noch nicht verloren und scheinen so etwas wie Langeweile nicht zu kennen - was sicherlich auch den sorglosen und gelassenen Umgang ihrer Eltern mit ihnen widerspiegelt.


Es gaebe noch vieles mehr zu erzaehlen, aber das wuerde hier glaube ich den Rahmen sprengen, sodass ich gegebenenfalls an anderer Stelle darauf zurueckkommen werde. Festzuhalten bleibt, dass Chilcapamba ein Ort ist, der so andersartig-natuerlich ist, dass er mir die Augen fuer etwas geoeffnet hat, das drohte, verloren zu gehen. Ich hoffe lange daran festzuhalten und von nun an die Sinne weiten zu koennen, auf der Suche nach dem wahren, dem guten Leben.

Montag, 5. Juli 2010

Fort von den Menschen

Heute habe ich Quito verlassen. Meine zweite Woche war hauptsaechlich vom Kampf mit spanischen Grammatikstrukturen und einer von schlechtem Gefluegel hervorgerufenen Magenverstimmung bestimmt. Am Wochenende habe ich dann aber aus dem Smog der Stadt ausbrechen koennen und bin mit einer Gondel auf einen 4.000 m hohen Aussichtspunkt ueber der Stadt gefahren. Von der Bergstation liess sich dann Quitos Hausvulkan Rucu Pichincha (4.698 m) besteigen. Dieser Versuchung konnte ich nicht widerstehen und so kraxelte ich Sonntag frueh vier Stunden auf den Gipfel - die letzten 100 Hoehenmeter teilweise fast senkrecht ueber Vulkangestein.

Oben angekommen verdeckten leider dichte Wolken die Aussicht. Dafuer fuehlte ich mich wie in einem surrealen Gespensterland, umgeben von dichtem Weiss und spuerbar duenner Luft in den Lungen. Auf dem Heimweg machten die Wolken dann aber leider ernst, sodass der Rueckweg durch stroemenden Regen ueber matschige Trampelpfade bei einer Sichtweite von weniger als fuenf Metern bestrtitten werden musste. Zwei Stunden spaeter, zurueck im Tal und frisch geduscht, war aber auch das laengst als bereichernde Erfahrung abgespeichtert.

Jetzt befinde ich mich im Norden Ecuadors, etwa zwei Busstunden von Quito entfernt, in Cotacachi, der Stadt des Leders, die sich am Fusse des gleichnamigen Vulkans befindet. Eigentlich ist es eher ein Dorf, in dem es sehr viele Lederartikel zu kaufen gibt, handgemacht von der indigenen Bevoelkerung. Ein Fest fuer jeden Tierfreund quasi ...

Von hier aus will ich mich weiter von der lauten, europaeisch-anmutenden Stadt entfernen und mehr von Land und Leuten sehen. Als ich vorhin im typsich ecuadorianischen Reisebus (es flimmerte passenderweise The Fast and the Furios auf Spanisch auf dem pixeligen Bordfernseher) durch gruene und zerfurchte Berglandschaften fuhr, haette ich am liebsten folgendes Gedicht aufgesagt, sofern ich es denn auswendig gekannt haette:

"The Road goes ever on and on
Down from the door where it began.
Now far ahead the Road has gone,
And I must follow, if I can,
Pursuing it with eager feet,
Until it joins some larger way
Where many paths and errands meet.
And whither then? I cannot say."


[Wer mir ohne Google-Suche den Autor dieser Zeilen nennen kann, bekommt einen Nerd-Keks. :) ]

Ich werde derweil sehen, wo mich meine weiteren Wege hinfuehren ...