Mittwoch, 8. September 2010

Anfaenge und Enden

Ich bin wieder in Quito. Zwei zweistuendige Fluege (La Paz-Lima, Lima-Quito) brachten mich gestern hier her. Morgen in aller Frueh geht mein Rueckflug nach Deutschland. Die K. hingegen hat noch zwei Wochen, in denen sie das wunderschoene Bolivien weiter bereist.

Es fuehlt sich komisch an, wieder am Anfang zu sein. Ein bisschen scheint es, als wuerde ich in der Zeit rueckwaerts reisen. All die Erlebnisse und Eindruecke der letzten Monate haengen noch im luftleeren Raum ueber mir und warten darauf, real zu werden. Erfahrungsgemaess wird eine Reise erst dann greifbar, wenn man zuhause die Wohnungstuer aufschliesst. Davor ist sie halb virtuelles Ungetuem, halb Traum. Aus diesem Grund faellt es mir gerade auch sehr schwer, meine Suedamerika-Reise als Ganzes zu betrachten.

Fest steht, ich habe viel gesehen. Das Meiste waren Windmuehlen, aber auch manch Riese war dabei, den man uns Touristen aufbinden wollte. Insbesondere Ecuador und Bolivien haben mich mit ihrer Gastfreundschaft überwältigt, die aber nicht darueber hinweg getaeuscht hat, in was fuer einer anderen Welt die Menschen in diesen Laendern leben. Eine Welt, die teilweise rau und hart ist, wie das Klima auf einer Anden-Hochebene. Aber zwischen bitterkalten Bergnaechten und erbarmungsloser Hoehensonne zeigte sich mir immer wieder eine Entspanntheit und Lebensfreude, die man nicht fuer moeglich haelt, wenn man sich nur die Fakten ansieht.

Jetzt geht es in den grauen deutschen Herbst. Ich bin gespannt, ob mir die deutsche Mentalitaet genauso fremd vorkommen wird, wie einst nach meinem Schweden-Aufenthalt. So oder so: Ich komme mit dem Vorsatz nach Hause, so bald wie moeglich ein weiteres Stueck alternative Wirklichkeit zu suchen, da draussen bei den Riesen und den Windmuehlen.

Freitag, 3. September 2010

Der Berg und der Teufel

46.000 und acht Millionen. Diesen zwei Zahlen wohnt die ganze Tragik von Potosi inne. Potosi (160.000 Einwohner) liegt 4.100 Meter ueber dem Meeresspiegel und ist damit die hoechstgelegene Stadt der Welt. Im 17. und 18. Jahrhundert war Potosi zudem die groesste Stadt der Welt, bedeutender als London oder Paris.
Der Grund fuer diesen Ruhm vergangener Tage ist der steil in den Himmel ragende Berg Cerro Rico ueber der Stadt. Hier entdeckten spanische Schuerfer im 16. Jahrhundert reiche Silbervorkommen. In den folgenden Jahrhunderten wurden 46.000 Tonnen des glitzernden Edelmetalls aus dem Berginneren gehauen, das in der Folge vor allem spanische Thronsaele verzierte. Ans Tageslicht geschafft wurde das Silber von indigenen Zwangsarbeitern, die von den Spaniern wie Sklaven in den Bergwerken verheizt wurden - sechs Monate ohne Tageslicht in zwanzig Stunden langen Arbeitsschichten. Im Laufe der Jahrhunderte forderte der Berg das Leben von etwa acht Millionen Minenarbeitern. Man koennte auch sagen: an jeder Tonne Potosi-Silber klebte das Blut von ueber 170 Bolivianern.

Potosi mit dem Cerro Rico im Hintergrund

Die Silberadern sind irgendwann im 19. Jahrhundert versiegt. Seitdem wird nach Zink, Kupfer und anderen Metallen gegraben. Den Berg durchloechern mittlerweile ueber 500 Schaechte, die teilweise ueber einen Kilometer ins Innere fuehren. Die bolivianische Regierung will die ohnehin wenig ergiebigen Grabungen aussetzen, da in den kommenden Jahren mit einem Zusammensacken des Steinungetuems zu rechnen ist. Mit der Stilllegung wuerden aber tausende Minenarbeiter ihre Arbeit verlieren. Wie sie selbst sagen, wuerden sie lieber in den Tiefen des Berges verschuettet werden, ist die Arbeit in den Stollen doch das Einzige, was sie je gelernt haben.

Als sich zu Potosis silbrigen Zeiten Widerstand der Bergarbeiter ruehrte, bedienten sich die Spanier eines gewieften Tricks: In dem Wissen, dass die indigenen Bolivianos in allem eine Gottheit sehen, um deren Gunst sie bangen, stellten sie eine Statue nach Potosi, die ueber das Schicksal der Bergarbeiter wachen soll. Die Statue hatte die Form eines Teufels. Bald war es Brauch unter den Bergarbeiten, diesem Tio (abgeleitet vom Spanischen Dios/Gott - in Quechua gibt es jedoch den Buchstaben D nicht) regelmaessig Opfer zu bringen, damit er die Bergarbeiter vom Verschuettetwerden und Erstickungstod unter Tage bewahrt.

Fehlt in keinem Stollen: eine obszoene Teufels-Statue mit Opfergaben

Auch heute noch findet sich in jedem Stollen eine Tio-Statue, der die Bergarbeiter taeglich Coca-Blaetter, Schnaps oder Zigaretten stiften. Nur durch diesen Aberglaube scheint die unmenschlich harte Arbeit im Dunkeln ertragbar zu werden.

Kunstwerk anlaesslich der Ernennung Potosis zum UNESCO-Weltkulturerbe

Die K. und ich schlossen uns einer Tour an, die uns fuer einen halben Tag durch eines der Bergwerke fuehrte. Nachdem wir in unserer Pseudo-Minenausruestung und unseren Gummistiefeln die ersten 50 Meter durch knoecheltiefes Schlammwasser gewatet und daraufhin nur noch von klaustrophobischer Dunkelheit umgeben waren, bekamen wir eine Ahnung davon, was es heisst, hier zu arbeiten. Nach wie vor schuften taeglich etwa 10.000 Bolivianer unter mittelalterlichen Bedingungen in den Stollen, an deren Decken eigenartige Mineralien wachsen und durch deren Mitte Schienen fuehren, ueber die bremsenlose Wagen gen Tageslicht geschoben werden. Taeglich werden mit Dynamit neue Loecher in den Stein gesprengt, in der Hoffnung doch noch einen Klumpen Silber zu finden. Je tiefer man durch Tunnel, die kaum noch einen halben Meter hoch sind, in den Berg vordringt, desto waermer wird es. Man fuehlt sich tatsaechlich so, als waere man auf dem Weg in die Hoelle. Es fehlt nicht viel, sich vorzustellen, dass auch der Teufel in der stillen Nacht durch die verlassenen Schaechte streift.

Weg in die Dunkelheit


Unsere Tour gab Gelegenheit, mit den Minenarbeitern zu reden und ihnen Geschenke mitzubringen - bevorzugt Coca-Blaetter, harter Alkohol oder Dynamit-Stangen. Wir lernten, dass Minenarbeiter heutzutage zwar mitunter ueberdurchschnittliche 500 Bolivianos (55 Euro) in der Woche verdienen koennen, dafuer aber eine Lebenserwartung von lediglich 38 Jahren haben. Wenn sie nicht durch Einsturz eines Stollens oder giftige Gase zu Tode kommen, toetet sie der Staub, der sich im Laufe der Jahre in ihren Lungen festsetzt.
Richtig bedenklich wird das Ganze vor dem Hintergrund, dass auch eine ganze Reihe Kinder in den Bergwerken arbeitet; meist Waisen, fuer die das Bergwerk die einzige Moeglichkeit ist, ihre Geschwister zu ernaehren. All das lernten wir durch den ausgezeichneten deutschen Dokumentarfilm Film "A Devil´s Miner" (unser hauptsaechlich auf Macho-Allueren bedachter Tourguide geizte eher mit kritischen Informationen), der die Situation einiger Kinder vor Ort zwar verbessert hat, der Kinderarbeit aber immer noch keinen Riegel vorschieben konnte.

Als wir nach zwei Stunden wieder ins Freie traten, riss uns das Tageslicht aus diesem Albtraum. Zurueck blieb bittere Gewissheit, in was fuer Bedingungen Menschen heute noch arbeiten und das Bewusstsein, privilegiert zu sein, ein Leben waehlen zu koennen, das mit keiner Hoelle in Kontakt steht.

Die Salzwueste von Uyuni

Die Fahrt von La Paz ins suedliche Andenhochland Boliviens verlief anders als erwartet. Wir hatten mit arktischen Temperaturen auf der naechtlichen Busreise gerechnet. Die gab es auch, nur wurden wir auf perfide Weise davor bewahrt: Unsere Sitze im Bus lagen direkt ueber dem laut droehnenden Motor, der bestaendig Waerme zu uns nach oben leitete. Zu viel Waerme. Das Metall unserer Sitze wurde stellenweise so heiss, dass wir Angst hatten, uns zu verbrennen. So verbrachten wir die Fahrt schwitzend und schlaflos.

Morgens um 6:00 kamen wir dann im menschenleeren Uyuni (5.000 Einwohner) an. Vor fuenfzehn Jahren noch war Uyuni ein verschlafener Grenzposten, in dem einzig die Eisenbahnlinie nach Chile und eine Militaerbasis Leben in dem unwirtlichen Klimat der Hochebene motivierte. Dann erkannten die Einheimischen das touristische Potential der nur wenige hundert Meter entfernten Salar de Uyuni, der groessten Salzwueste der Welt. Seitdem wimmelt es vor Touristen in Uyuni, die mittels der Jeeps der Einheimischen fuer einige Tage in die Einoede fahren, um den surrealen Charme der Salar kennenzulernen.

Auf der Salar de Uyuni

Die Kreationisten hatten Recht: Dinosaurier in der Salzwueste!!!

Zum Glueck hatte ich die K. dabei...

Mit einer Nord-Sued-Ausdehnung von 150km und einer etwa halb so grossen Ost-West-Streckung war die Salzwueste einst ein See, dessen Wasser im Laufe der Aeonen verdunstete. Jetzt schlagen hier Bolivianer Tag fuer Tag Wuerfel aus echtem Jodsalz aus der einige Meter dicken Oberflaeche. Eine deutlich lukrativere Einnahmequelle schlummert derweil noch unberuehrt unter dem Weiss: seit einigen Jahren ist bekannt, dass die Salar das mit Abstand weltgroesste Lithiumvorkommen (u.a. der Stoff fuer Handy- und Laptop-Akkus) beherbergt.

Unseren ersten Tag in Uyuni verbrachten wir mit der Auswahl eines Touranbieters, der uns mehrere Tage hinaus in die Wueste und bis zur Suedgrenze Boliviens bringen sollte. Die Auswahl gestaltete sich schwierig, da es in Uyuni fast so viele Touranbieter wie Salz in der Salar zu geben scheint (sorry, der musste sein). Gluecklicherweise trafen wir auf der Suche ein nettes deutsches Paerchen wieder, das wir schon in Cusco kennengelernt hatten. Letztendlich schlossen wir uns mit den beiden und noch einem anderen deutschen Paar zusammen und buchten gemeinsam eine Tour - unsere Jeep-Crew war also komplett.

Sonnenuntergang auf der Isla Incahuasi

Am naechsten Tag ging es los in die Salzwueste. Mit unserem Fahrer Augustino von Quechua Tours schossen wir ueber das endlose Weiss und ich kam mir im Laufe der naechsten Tage ziemlich bloed vor, vor kurzem noch berichtet zu haben, Huancayo wuerde an den Mars erinnern. Egal ob waehrend der Besteigung eines Vulkans, an dessen Hang Erde in fast jeder erdenklichen Farbe das Weiss der Wueste konstrastierte, oder beim Besuch von rot, gruen oder blaeulich schimmernden Lagunen suedlich der Salar de Uyuni, auf deren Oberflaeche rosa Flamingos auf Eisschollen driften: Diese Hochebene im Sueden Boliviens ist mit grossem Abstand der am ausserirdischsten anmutende Landstrich, den ich bisher auf dieser Erde sehen durfte.
Am 28. August erreichten wir dann den suedlichsten Punkt unserer Reise: unmittelbar an der chilenischen Grenze, nahe dem 22. suedlichen Breitengrad, setzten wir die vier anderen Deutschen ab. Mir war klar, dass es von dort aus nur noch nach Norden gehen wuerde. Definitiv surreal erschien mir der Gedanke, zwoelf Tage spaeter schon wieder in Deutschland zu sein.

Der 5.200 Meter hohe Vulkan Tunupa

Sagenhafter Ausblick aus 4.900 m Hoehe

Leider holte mich gegen Ende des zweiten Tages der Tour das ein, was ich schon erfolgreich ueberwunden geglaubt hatte: Magenprobleme der uebelsten Sorte, die die letzten zwei Tage des Ausflugs fuer mich zur ziemlichen Leidensprobe werden liessen. Zurueck in Uyuni kaempfte ich dann noch drei weitere Tage mit der Krankheit. Zwischendurch war der Winter nach Suedbolivien gekommen. Temperaturen unter dem Gefrierpunkt und schliesslich sogar Schnee stellten in unserem unbeheizten Hostal-Zimmer (der einzige Ort mit Heizung in Uyuni ist ein teures Edelhotel) eine echte Bewaehrungsprobe dar.

Flamingos auf Eisschollen

Rote Farbe dank hohem Kupfergehalt: Die Laguna Colorada

Jetzt, zwei Tage spaeter, sind wir aber in der Minen-Stadt Potosi angekommen. Und ich kann mit Gewissheit sagen, mich wieder als Mensch zu fuehlen - die zwei-drei warmen Mahlzeiten, die ich jeden Tag zu mir nehme, tragen mindestens so sehr dazu bei, wie die Heizung in unserem Hostal-Zimmer.

Schnee in Uyuni