Freitag, 3. September 2010

Der Berg und der Teufel

46.000 und acht Millionen. Diesen zwei Zahlen wohnt die ganze Tragik von Potosi inne. Potosi (160.000 Einwohner) liegt 4.100 Meter ueber dem Meeresspiegel und ist damit die hoechstgelegene Stadt der Welt. Im 17. und 18. Jahrhundert war Potosi zudem die groesste Stadt der Welt, bedeutender als London oder Paris.
Der Grund fuer diesen Ruhm vergangener Tage ist der steil in den Himmel ragende Berg Cerro Rico ueber der Stadt. Hier entdeckten spanische Schuerfer im 16. Jahrhundert reiche Silbervorkommen. In den folgenden Jahrhunderten wurden 46.000 Tonnen des glitzernden Edelmetalls aus dem Berginneren gehauen, das in der Folge vor allem spanische Thronsaele verzierte. Ans Tageslicht geschafft wurde das Silber von indigenen Zwangsarbeitern, die von den Spaniern wie Sklaven in den Bergwerken verheizt wurden - sechs Monate ohne Tageslicht in zwanzig Stunden langen Arbeitsschichten. Im Laufe der Jahrhunderte forderte der Berg das Leben von etwa acht Millionen Minenarbeitern. Man koennte auch sagen: an jeder Tonne Potosi-Silber klebte das Blut von ueber 170 Bolivianern.

Potosi mit dem Cerro Rico im Hintergrund

Die Silberadern sind irgendwann im 19. Jahrhundert versiegt. Seitdem wird nach Zink, Kupfer und anderen Metallen gegraben. Den Berg durchloechern mittlerweile ueber 500 Schaechte, die teilweise ueber einen Kilometer ins Innere fuehren. Die bolivianische Regierung will die ohnehin wenig ergiebigen Grabungen aussetzen, da in den kommenden Jahren mit einem Zusammensacken des Steinungetuems zu rechnen ist. Mit der Stilllegung wuerden aber tausende Minenarbeiter ihre Arbeit verlieren. Wie sie selbst sagen, wuerden sie lieber in den Tiefen des Berges verschuettet werden, ist die Arbeit in den Stollen doch das Einzige, was sie je gelernt haben.

Als sich zu Potosis silbrigen Zeiten Widerstand der Bergarbeiter ruehrte, bedienten sich die Spanier eines gewieften Tricks: In dem Wissen, dass die indigenen Bolivianos in allem eine Gottheit sehen, um deren Gunst sie bangen, stellten sie eine Statue nach Potosi, die ueber das Schicksal der Bergarbeiter wachen soll. Die Statue hatte die Form eines Teufels. Bald war es Brauch unter den Bergarbeiten, diesem Tio (abgeleitet vom Spanischen Dios/Gott - in Quechua gibt es jedoch den Buchstaben D nicht) regelmaessig Opfer zu bringen, damit er die Bergarbeiter vom Verschuettetwerden und Erstickungstod unter Tage bewahrt.

Fehlt in keinem Stollen: eine obszoene Teufels-Statue mit Opfergaben

Auch heute noch findet sich in jedem Stollen eine Tio-Statue, der die Bergarbeiter taeglich Coca-Blaetter, Schnaps oder Zigaretten stiften. Nur durch diesen Aberglaube scheint die unmenschlich harte Arbeit im Dunkeln ertragbar zu werden.

Kunstwerk anlaesslich der Ernennung Potosis zum UNESCO-Weltkulturerbe

Die K. und ich schlossen uns einer Tour an, die uns fuer einen halben Tag durch eines der Bergwerke fuehrte. Nachdem wir in unserer Pseudo-Minenausruestung und unseren Gummistiefeln die ersten 50 Meter durch knoecheltiefes Schlammwasser gewatet und daraufhin nur noch von klaustrophobischer Dunkelheit umgeben waren, bekamen wir eine Ahnung davon, was es heisst, hier zu arbeiten. Nach wie vor schuften taeglich etwa 10.000 Bolivianer unter mittelalterlichen Bedingungen in den Stollen, an deren Decken eigenartige Mineralien wachsen und durch deren Mitte Schienen fuehren, ueber die bremsenlose Wagen gen Tageslicht geschoben werden. Taeglich werden mit Dynamit neue Loecher in den Stein gesprengt, in der Hoffnung doch noch einen Klumpen Silber zu finden. Je tiefer man durch Tunnel, die kaum noch einen halben Meter hoch sind, in den Berg vordringt, desto waermer wird es. Man fuehlt sich tatsaechlich so, als waere man auf dem Weg in die Hoelle. Es fehlt nicht viel, sich vorzustellen, dass auch der Teufel in der stillen Nacht durch die verlassenen Schaechte streift.

Weg in die Dunkelheit


Unsere Tour gab Gelegenheit, mit den Minenarbeitern zu reden und ihnen Geschenke mitzubringen - bevorzugt Coca-Blaetter, harter Alkohol oder Dynamit-Stangen. Wir lernten, dass Minenarbeiter heutzutage zwar mitunter ueberdurchschnittliche 500 Bolivianos (55 Euro) in der Woche verdienen koennen, dafuer aber eine Lebenserwartung von lediglich 38 Jahren haben. Wenn sie nicht durch Einsturz eines Stollens oder giftige Gase zu Tode kommen, toetet sie der Staub, der sich im Laufe der Jahre in ihren Lungen festsetzt.
Richtig bedenklich wird das Ganze vor dem Hintergrund, dass auch eine ganze Reihe Kinder in den Bergwerken arbeitet; meist Waisen, fuer die das Bergwerk die einzige Moeglichkeit ist, ihre Geschwister zu ernaehren. All das lernten wir durch den ausgezeichneten deutschen Dokumentarfilm Film "A Devil´s Miner" (unser hauptsaechlich auf Macho-Allueren bedachter Tourguide geizte eher mit kritischen Informationen), der die Situation einiger Kinder vor Ort zwar verbessert hat, der Kinderarbeit aber immer noch keinen Riegel vorschieben konnte.

Als wir nach zwei Stunden wieder ins Freie traten, riss uns das Tageslicht aus diesem Albtraum. Zurueck blieb bittere Gewissheit, in was fuer Bedingungen Menschen heute noch arbeiten und das Bewusstsein, privilegiert zu sein, ein Leben waehlen zu koennen, das mit keiner Hoelle in Kontakt steht.

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