Samstag, 14. August 2010

Auf den Spuren der Inkas

Der Wecker klingelte um 3:30, zur Unmenschlichsten aller Stunden. Mit mueden Augen verliessen wir unser Hostal und folgten ein paar Bahngleisen, die in die pechschwarze Nacht fuehrten. Bald merkten wir, dass der richtige Weg nicht auf den Schienen lag und blickten zum tosenden Fluss Urubamba hinunter, der durch das Tal zwischen 1000 Meter hohen Urfelsen floss. Da sahen wir sie, Gruppen von Leuchtkegeln, die geschwinden Schrittes auf einer asphaltierten Strasse entlangflitzten.

Wenig spaeter befanden wir uns unter ihnen. Menschen in neu gekauften Outdoorklamotten, die mit Stirnlampen und Wanderstoecken durch das tropisch anmutende Nebelwaldtal schritten. Wir fragten uns kurz, was wir hier machten. Aber dann kam uns wieder der Grund in den Sinn, aus welchem wir hier liefen, mit unseren flackernden Ein-Euro-Taschenlampen, in diesem Strom von eigenartig motivierten Menschen, am Ufer dieses reissenden Andenstroms:

Wir wollten auf den Spuren der Inkas wandeln, wie sie ueber in den Berg gehauene Steinstufen zu einer heiligen Staette in den Bergen wandern. Da es sich bei diesem Heiligtum jedoch um das weltberuehmte Machu Picchu handelte, das taeglich von knapp fuenftausend und jaehrlich von mehreren hunderttausend Touristen besucht wird, waren wir in der Mitte der Nacht aus unseren Betten gekrochen. Etwas naiv hatten wir gehofft, damit den Massen zuvorkommen koennen.

Nach zwanzig Minuten erreichten wir eine Bruecke, die den Urubamba ueberquerte. Es war viertel nach vier. Zu unserem Erstaunen sahen wir, dass sich eine Menschentraube vor der Bruecke versammelt hatte. Mehr Gestalten mit atmungsaktiven, eng anliegenden Hosen und neu aussehenden Wanderrucksaecken. Bald hatten wir in Erfahrung gebracht, dass vor kurzem ein Tor an der Bruecke installiert wurde, das erst gegen fuenf Uhr seine Pforten oeffnet. Die Taktik dahinter war einfach zu durchschauen: der erste Touristenbus aus dem im Tal von Machu Picchu gelegenen Touristendorf Aguas Caliente fuhr um halb sechs los und brauchte 25 Minuten. Die Tore von Machu Picchu, zu diesem Zeitpunkt 500 Hoehenmeter im Dunst ueber uns gelegen, oeffneten um Punkt sechs Uhr. Fuer den Aufstieg benoetigte man etwa eine Stunde. Man wollte also wohl gewaehrleisten, dass die eifrigen Wanderer nach den bequemen Busreisenden (die passenderweise fuer die Busfahrt 6$ bezahlt hatten) ankamen. Das aergerte uns etwas und wir waren verwirrt, dass niemand um uns herum unseren Unmut zu teilen schien. Stattdessen wurden Parolen wie "Let the race begin! High Five!" ausgetauscht.


Menschenschlage gegen 4:30 vorm neu errichteten Bruecken-Tor am Urubamba

Man mag sich fragen: warum ueberhaupt die Eile? Nun, taeglich duerfen nur 400 Leute den Wayna Picchu, den Gipfel, der ueber Machu Picchu thront, besteigen - eben jene, die zuerst das Gelaende betreten. Daher die ganze Eile und die Menschen mit ausgekluegelter Wanderausruestung. Daher der Unmut ueber die Sabotage des Busboykotts.

Um kurz vor fuenf wurde schliesslich das Tor an der Bruecke geoeffnet. Dann begann ein schweisstreibender Aufstieg, der uns Heidelberger etwas an den Gang zur Thingstaette in der Walpurgisnacht erinnerte - nur mit weniger Betrunkenen und mehr fanatischen US-Amerikanern.

Etwas entnervt stiegen wir also schliesslich ueber antike Stufen den steilen Hang des Nebelwaldes hinauf. Um uns herum schnaufende Menschen mit Stirnlampen, die immer stiller wurden, je weiter wir stiegen. Nach halber Strecke lichtete sich das Feld und wir fuehlten uns fast allein - bis auf das Klacken der Wanderstoecke auf den Stufen unter uns. Ueber unseren Koepfen funkelten einzelne Sterne und in unserem Ruecken verdunkelte ein riesiger Bergfelsen den Himmel, der wie ein stummer Riese ueber dem Urubamba-Tal wachte.

Als wir gegen kurz vor sechs am Tor von Machu Picchu ankamen, daemmerte es bereits. Wenige Minuten nachdem sich die K. und ich durchgeschwitzt in eine lange Schlange eingereiht hatten, kam der erste Bus an. Ehe wir uns versahen bekamen wir unseren Wayna-Picchu-Stempel auf unsere Eintrittskarte. Wir hatten es geschafft! Ohne Wanderstoecke, Stirnlampe oder Touristenbus.

Machu Picchu in der Morgendaemmerung


Machu Picchu in der Morgenroete entschaedigte schliesslich fuer die Strapazen der letzten Stunden. Gegen 6:00 morgens waren wir noch fast allein auf der weitreichenden Anlage. Wir konnten uns vorstellen, wie hier einst vor fuenfhundert Jahren das Leben erwachte, Inkas aus ihren nach Osten ausgerichteten Fenstern blickten und den Tag wilkommen hiessen.

Sonnenaufgang im Heiligen Tal der Inka

Gleich um 7:00 bestiegen wir den Wayna Picchu ueber steile Stufen, die zu einer irreal hoch gelegenen Wachanlage fuehrten, auf der einst Inka-Wachposten ins 800 Meter tiefer gelegene Flusstal spaehten. Spaestens jetzt hatte uns der Zauber der Ruinen in seinen Bann gezogen. Wir waren uns sicher, dass das hier beeindruckender war, als alle zuvor besichtigten Inka-Ruinen (Pisac, Ollantaytambo) zusammen.

Ausblick vom Wayna Picchu

Wir verbrachten den Rest des Tages auf der Anlage. Zwischen 10:00 und 13:00 wurde diese durchaus erwartungsgemaess von sinntflutartigen Touristenstroemen ueberschwaemmt. Wir nutzten die Zeit fuer ein Mittagsschlaefchen in einer abgelegenen Ecke. Als wir nachmittags uns an den Abstieg machten waren wir zwar kaputt, aber fasziniert von dieser Staette, die uns kurz in eine Welt versetzt hatte, die so weit von unserer westlichen entfernt war wie der Mond.

Zurueck in unsere Welt holte uns dann Aguas Caliente: Touristenscharen in Flipflops und mit Sonnenbrand, die eine enge Fussgaengerzone entlangschritten und von allen Seiten von laut auf Englisch werbenden Restaurantbesitzern bedraengt wurden, ob sie nicht das Abendmenu fuer 7$ wollen - Happy Hour, Happy Hour! Nachdem wir uns am Tag zuvor in eines der Restaurants hatten luren lassen und schlecht gegessen hatten, suchten wir verzweifelt Alternativen zur ueberteuerten touristischen Massenabfertigung. Die Inkagoetter schienen mit uns gewesen zu sein, denn wir entdeckten einen kleinen Markt, an dessen Seite eine versteckte Treppe in den zweiten Stock fuehrte. Hier assen die Einheimischen an Markstaenden fuer 2$. Den Teller mit Reis, Gemuese und Lammfleisch bereitete eine nette Marktfrau keine zwei Meter von mir innerhalb von fuenf Minuten zu. Es war das kulinarische Highlight meines Peru-Aufenthalts. So gedachten wir der Inka, die einst 500 Meter ueber unseren Koepfen Kartoffeln und Kochbananen assen, und unsere Sorgen wahrhaftig fuer die eines Marsmenschen gehalten haetten.

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