Mittwoch, 30. Juni 2010

Der Vulkankrater von Quilotoa

Wir starten Samstag, frueh am Morgen, als der Asphalt der Strassen Quitos noch unbefahren und die Sonne gerade erst ueber die oestlichen Vulkane geklettert ist. Unser Weg fuehrt uns in den Sueden der Stadt, zu einem grossen Busterminal, das wie eine Mischung aus Raumschiff und Schwimmhalle aussieht. Dabei bestaunen wir die Ausdehnung Quitos, das von seiner Nord- bis zu seiner Suedgrenze sicherlich 30 km misst und dessen Haeuser im Sueden immer mehr Armut erkennen lassen.

Wenig spaeter sitzen wir, d.h. Roberto und neun andere Spanischlernende, auf den Baenken eines ortsueblichen Busses, der sich laut und abgasreich aus den suedlichen Auslaeufern der Hauptstadt kaempft. Es geht hinab in ein Tal, das sich immer noch mehr als zwei Kilometer ueber dem Meeresspiegel befindet und sich im Schosse zweier Vulkanstrassen gen Sueden windet.

Nach zwei Stunden, in denen der Bus alle paar Minuten stoppt und eine Meute von Strassenverkaeufern mit Aepfeln, Getraenken, Kugelschreibern oder Wunderheilmitteln zusteigt, erreichen wir den Verkehrsknotenpunkt Latacunga. Eine Stadt, die vor lauter Bussen wie unserem und anderen stinkenden, hupenden und vollgestopften Fahrzeugen fast aus den Naehten zu platzen scheint.

Weiter geht es hinauf in die westliche "Strasse der Vulkane". Die Landschaft wird laendlicher, wie auch die Fahrgaeste. Huttragende Maenner mit Gesichtern aus Leder und Frauen mit Kopftuechern, Kartoffelsaecken und auf den Ruecken gebundenen Kleinkindern draengen sich bei jedem Halt in den Bus und fahren mit uns durch Doerfer, die sowohl schoen als auch kaputt sind.


Die Busreise endet im Dorf 80-Seelen-Dorf Quilotoa, das vor allem vom Tourismus und dem lokalen Kunsthandwerk der wenigen Bewohner lebt, die nicht in einem der Hostals arbeiten. Der Himmel ist wolkenverhangen und es faehrt ein Wind in die Glieder, den wohl nur 3.800 m hohe Berglandschaften auf ihren Schultern tragen.

Wenige Schritte vom Vulkan entfernt erstreckt sich der 4 km breite Vulkankrater Quilotoa, der 400m unter uns gruen-blaeulich schimmert und den Himmel zu spiegeln scheint. Bei einer Wanderung am Kraterrand kaempfen wir mit der Hoehenluft, die alles 50% anstregender zu machen scheint. Entschaedigt werden wir von Lamas und der Aussicht in weitlaeufige Taeler, in denen Mais- und Getreiderfelder der indigenen Bewohner und manch einsamer Bauernhof die einzigen Keime des Lebens im sonst brachialen Hochland zu sein scheinen.



Beim abendlichen cerveza am Kamin werden schliesslich muede Knochen gestreckt und Geschichten ausgetauscht, bis gegen 21 Uhr das eine Bier im Schaedel angekommen ist und man merkt, dass rote Blutkoerperchen es hier oben in der Hoehenluft etwas schwerer haben und so auch der Alkoholabtransport etwas gemaechlicher vonstatten geht.

Nach einer frostigen Nacht, in der man auch unter drei Wolldecken noch friert, geht es am naechsten Morgen bei klarem Himmel hinab in den Krater. Am Ufer der Lagune im Vulkankessel wartet ein staubiger Sandstrand mit einigen Cayaks. Wir trauen uns aufs Wasser und sind auf einmal auf allen Seiten von gruenlich glitzerndem Wasser und irreal hohen Felswaenden umgeben und begreifen zum ersten Mal, dass hier einst die Natur herrschte, auf Skalen, die uns bedeutungslos erscheinen lassen.


Der Aufstieg zurueck zum Kraterrand verlaeuft steil und schweisstreibend. Fuer 8$ haette man die 400 Hoehenmeter auf dem Ruecken eines trittsicheren Esels zuruecklegen koennen, was es mir aufgrund der "The Eyerie"-Assoziation fast wert gewesen waere. Wenig spaeter im Bus erscheint die Kraterlagune dann wie ein vergangener Traum, so rasend schnell brettert der adoleszente Fahrer im heulenden Klapperbus zurueck ins Tal. Kurz vor Quito erspaehen wir dann noch den schneebedeckten Cotopaxi am Horizont, den 5.800 m hohen Nationalvulkan Ecuadors.

Gegen 19 Uhr sind wir zurueck in der Stadt. Smog haengt in der Luft, Scharen hupender Autos mit grellen Lichtern ziehen an uns vorbei und unsere Beine sind taub vom langen Sitzen und dem Lauf um den Vulkan.

Bei der Gastfamilien wartet ein kaltes Essen und Spanischvokabeln. Der Drang, sofort wieder aus der Stadt zu fliehen und Vulkane zu besteigen, ist stark. Doch bevor ich Taten folgen lassen kann, falle ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Donnerstag, 24. Juni 2010

Die Stadt der zwei Gesichter

Mein Reisefuehrer behauptet, Quito habe tausende Gesichter. Nach fuenf Tagen in der 2.800 Meter ueber dem Meeresspiegel gelegenen Hauptstadt Ecuadors, kann ich dem nicht ganz zustimmen.

Es stimmt zwar: wenn ich aus dem Fenster meines Zimmers bei meiner Gastfamilie an einem der oestlichen Haenge Quitos ueber die weitlaeufige Stadt blicke, gleichen sich zwei Blicke so gut wie nie. Trockene Hitze, windige Schwuele, dunkle Wolkenmeere, geisterhafte Nebelschwaden oder kraeftige, kurze Regenschauer - manch Taxifahrer kommentiert die wechselhaften klimatischen Bedingungen angeblich mit "el tiempo es como las mujeres" ("Das Wetter ist wie die Frauen"). In der Tat kann man in Quito jeden Tag drei Jaherszeiten erleben - nur schneien tut es nie, dazu ist es hier, an der mitad del mundo, doch zu warm.

All diese Facetten des Wetters erscheinen mir aber nicht mehr zu sein, als verschiedene Ausdruecke im immer gleichen Gesicht der Stadt. Quito bei Tage ist - zumindest im Viertel la Mariscal, der Neustadt - stets ein lebendiger Strom unterschiedlichster Menschen, die sich zwischen unzaehligen kleinen Restaurants, Cafés, Tante-Emma-Laeden, Internetcafés, Obststaenden und ihre Ware anpreisenden Strassenverkaeufern hindurchschlaengeln.
Die Altstadt hingegen besticht durch enge, koloniale Gassen und vollkommen deplatziert wirkende, pompoes verzierte Kirchen und Basilikas. Das Einzige, was diese von ihren Vorbildern in Italien oder Spanien zu unterscheiden scheint, ist das Ziffernblatt der Uhr, das nicht in paepstlichem Gold, sondern in billigem blauen Plastik im Kirchturm prunkt. Allgemein erscheint es dem Europaer auf Suedamerika-Reise, als seien Kirchen gewissermassen die Coca Cola des 16. Jahrhunderts - mit viel Aufwand herangeschafft, aber sobald einmal etabliert, der absolute Renner!

Dieser lebendigen Seite Quitos, die man zwischen 6:00 und 18:00 erleben kann, steht jedoch eine andere, etwas weniger einladende entgegen: Nach Einbruch der Dunkelheit durchfaehrt einen als gringo ein immer wieder aufblitzendes, jedoch allgemein latentes Unsicherheitsgefuehl. Es wird einem ueberall nachdringlich geraten, nach 19Uhr alle Strecken nur noch per Taxi zurueckzulegen. Fast jeder Reisende hat die ein oder andere Ueberfallsstory auf Lager. Und im Schutze der Nacht lauert so manche dunkle Gestalt an den Ecken sonst menschenverlassener Strassen.
Interessanterweise steht vor allem die Touristengegend la Mariscal im Ruf, das unsicherste Viertel zu sein. Hier steppt jedoch abends trotzdem der Baer: braungebrannte Backpacker stroemen mit arrogantem Blick von Bar zu Bar und scheinen wenig Interesse an mehr als der naechsten cerveza, dem Bier der Einheimischen, zu haben. Dem kriminellen Potential steht unmittelbar im Ausgehviertel eine enorme Polizeipraesenz gegenueber - auf die umliegenden Blocks oder schon auf die Randstrassen des Touristenviertels erstreckt sich diese Praesenz aber nur bedingt, weswegen der sicherheitsbewusste Reisende tatsaechlich auf dem Heimweg brav ins 2$ teure Taxi steigt.

Vor allem beeindruckt vom hellen der zwei Gesichter Quitos, habe ich mich derweil entschlossen, hier noch eine weitere Woche zu bleiben. Ich will weiter an meinem Spanisch arbeiten. Der Sprachkurs erweist sich als ausserordentlich effektiv, auch wenn die Amerikanerdichte sicher nicht im Sinne des Reiseplanenden ist/war. Meine Spanischversuche bewegen sich indes wellenartig voran - einem Tag grosser Zuversicht folgt mit grosser Sicherheit ein Tag der Ernuechterung. Zwar kann ich mittlerweile einigermassen ser und estar auseinanderhalten, das Konjugieren der Verben im Kopf (in verschiedenen Zeiten) und das Bilden von Saetzen verlangt mir aber immer noch meine gesamte Gehirnkapazitaet ab. So spreche ich zwar, aber noch langsam und bedaechtig, scheinbar weit von fluessiger Kommunikationsgeschwindigkeit entfernt.

Am Wochenende werde ich dann wohl erste Ecuadorianische Landluft schnuppern und zusammen mit anderen Sprachschuelern eine Lagune in einem Vulkankrater besuchen. Dort hoffe ich zwei Tage Abstand vom hektischen Quito zu gewinnen und der Natur Ecuadors etwas naeher zu kommen. Perfekt waere es, wenn ich dort nur Spanisch sprechen koennte. Mal schauen, vielleicht laesst sich ja ein Englisch-Embargo etablieren - oder aus den Tiefen des schlummernden Vulkans steigt die Erkenntnis empor, dass die Mitte der Welt Spanisch spricht.

Sonntag, 20. Juni 2010

I went to Houston and they took my banana

Da bin ich also. Quito zeigt sich wechselhaft. Menschen fahren auf den offenen Ladeflaechen von Pickups durch die ueberraschend moderne Stadt. Berge rundherum und Haeuserviertel an den Haengen.

Der Weg hierher war allerdings ein Albtraum. Alles began mit der ueberraschenden Entdeckung am Frankfurter Flughafen, dass ich auf Platz fuenf (d.h. auf den letzten) der Warteliste meines Fluges nach Houston gesetzt worden war. Nach Houston kam ich dann trotzdem, eingepfercht auf einem wenig vorteilhaften Sitzplatz. Auf dem Flug dann den Amerika-Crashkurs in Form des Sozialkitsch-Films "The Blind Side" mit Sandra Bullock vorgesetzt bekommen. Wusste dabei zwischenzeitlich nicht, ob ich weinen oder mich auf meinen Vordermann uebergeben soll. Mein Gepaeck hatte insgesamt nicht soviel Glueck und hat laut der Auskunft eines Beamten am Airport Houston mal eine Reise nach Madrid angetreten. Ich bin mir sicher, die war insgesamt angenehmer als die meinige. Aber wer braucht schon frische Waesche.

Ebenso interessant (Achtung, deutscher Euphemismus!) waren dann meine ersten Eindruecke auf amerikanischem Bodem. Houston, Texas, George Bush Airport, 32 Grad im Schatten. Unfreundliche Zollbeamte, die in breitem Texanisch Informationen zu mir und meinem Reiseziel verlangen und dabei jeden aserbaidschanischen Kollegen wie die Biene Maja aussehen lassen.
Dann, am Gepaeckband, findet auf einmal ein Drogenhund Gefallen an mir. Hintergrund war ein Apfel und eine Banane in meinem Handgepaeck. In Amerika sind auch Obst und Gemuese potentielle biologische Waffen. Deswegen musste ich dann der Zollbehoerde die Inhalte meines Rucksacks zeigen, wobei auch meine Sandwiches auf Ablehnung stiessen und wie das Obst in den Muelleimer wandern mussten. Ob ich davon schnell noch was essen duerfte? "No sir, that is no longer possible."

Dann auf dem Flug von Houston nach Quito mit einem Fensterplatz und einer grandiosen Aussicht auf ein riesiges, entferntes Gewitter vor der untergehenden Sonne ueber dem Golf von Mexico entschaedigt worden, was wohl mit das beeindruckenste Naturschauspiel war, an das ich mich spontan erinnern kann. Oeflecken habe ich uebrigens keine gesehen, dafuer aber jede Menge Oeltanker.

In Quito dann zwei Stunden vor dem Einreiseschalter warten muessen, mit dem von der Hoehenluft ausgeloesten Schwindel und dem Schlafmangel gekaempft, letztendlich aber den Einreisestempfel in den Reisepass bekommen, mein verloren gegangenes Gepaeck gemeldet (das ich hoffentlich morgen wieder kriege) und erfolgreich den Weg zu meiner Gastfamilie gefunden.

Hier wie ein Baby geschlafen und heute morgen beim Fruehstueck mit meiner Gastmutter mein Spanisch ausgepackt, was eine (positiv) interessante und recht ermutigende Erfahrung war. Wobei ich definitiv mehr verstehe, als ich sagen kann, was sich aber mit meinem morgen beginnenden Sprachkurs aendern soll. Spaeter gibt es Abendessen und mir wurde schon angekuendigt, dass im Haus Englisch-Verbot herrscht und haeufig Gaeste zu Besuch kommen. Ich bin gespannt und freue mich auf die naechsten Tage. Und frische Klamotten.

Hasta pronto, amigos!